Der Kapitalismus stürzt die Dogmen des Eigentums

Wenn es einer Bestätigung bedarf, hat die letzte G7 diese bestätigt: Der Kapitalismus befindet sich in völliger Mutation und die Metamorphose ist so gewalttätig, dass sie selbst die absoluten Dogmen der Eigentumsrechte in Frage stellt.

Nehmen wir das Recht auf Freihandel. Von Biden bis Meloni erwähnen ihn die G7-Führer mittlerweile mit kaum verhohlener Verärgerung, als wäre er ein uraltes Idol, das keiner Verehrung würdig ist. Im Gegenteil, dieselben Führer kündigen voller Begeisterung neue protektionistische Maßnahmen gegen China und andere Länder an, die nicht mit westlichen Interessen übereinstimmen.

Die Big Seven rechtfertigen Handelsbeschränkungen mit der Klage über die Unterstützung Chinas für das kriegstreibende Russland. Tatsächlich deuten die Daten darauf hin, dass der westliche Protektionismus schon lange vor der russischen Invasion in der Ukraine begann.

Vor allem durch die USA, die zwischen 2010 und 2022 7.790 neue Beschränkungen für den internationalen Handel eingeführt haben. Aber auch Europa hat, wenn auch zögerlich, seit langem Barrieren gegen den Osten errichtet. Die den „Big Seven“ am Herzen liegende These, dass Protektionismus eine bloße Folge des Krieges sei, wird daher durch die Fakten widerlegt. Handelshemmnisse waren vielmehr Vorläufer von Konflikten.

Die G7-Staats- und Regierungschefs haben außerdem ein weiteres altes proprietäres Dogma unter ihre Fittiche genommen: den unbestrittenen Wert des Dollars als internationale Tauschwährung.

China, die arabischen Energieerzeugerländer und teilweise auch Russland haben dank jahrzehntelanger Exporte große Mengen an Dollar angehäuft. Der Doktrin zufolge hätten diese Länder nun das Recht, über die vorhandenen Mengen an grünem Geld nach Belieben zu verfügen, vielleicht sogar, um westliche Unternehmen zu erwerben.

Das Problem ist, dass der amerikanische und europäische Protektionismus dies verhindert: Handels- und Finanzhemmnisse blockieren Einkäufe.

Die Konsequenz ist, dass östliche Eigentümer jetzt Berge von Dollars vor sich haben, die sie nicht so verwenden können, wie sie es gerne hätten. Daher ist es selbstverständlich, dass sie das Interesse an der amerikanischen Währung verlieren. Wenn wir darüber nachdenken, ist der Hauptgrund für die sogenannte „Entdollarisierung“ genau der Protektionismus amerikanischer Prägung.

Aber hier war noch nicht Schluss. Auf dem apulischen Gipfel gingen die G7-Staats- und Regierungschefs sogar so weit, selbst das größte Gebot des Kapitals zu entstellen: das auf internationaler Ebene garantierte Recht auf Privateigentum. Die großen Sieben haben vereinbart, dass die neue Zuweisung von 50 Milliarden für die Ukraine durch Kredite gedeckt wird, die durch eine Enteignung russischer Gewinne garantiert werden.

Dabei handelt es sich um Erlöse aus den berüchtigten 300 Milliarden, die von russischen Unternehmen im Westen deponiert und nach Kriegsbeginn eingefroren wurden. Der kapitalistische Westen hat sich in dieser sehr heiklen Frage mehrfach gespalten.

Von der Wall Street bis nach Frankfurt warnen westliche Makler, dass die Verletzung russischen Eigentums bei Kapitalisten auf der ganzen Welt Alarm ausgelöst hat, die aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen auch gegen sie jede Aussicht auf Investitionen im Westen aufgeben könnten. Das Risiko ist real, aber am Ende wurde beschlossen, die verbotene Schwelle trotzdem zu überschreiten. Auch das Privateigentum erfährt damit eine Degradierung: vom unbestrittenen Individualrecht zur Konzession des Souveräns.

Diese kolossale kapitalistische Mutation scheint auf keine Hindernisse zu stoßen.

Die EU scheint zunehmend an die Verletzung alter Eigentumsrechte gewöhnt zu sein. Dieselben aufstrebenden reaktionären Rechten unterstützen es jetzt ohne zu zögern. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass ein amerikanischer Demiurg in der Lage wäre, dem Trend entgegenzuwirken. Trump würde den Russen gerne territoriale Zugeständnisse machen, betont aber seine Absicht, die Handels- und Finanzbarrieren gegenüber China und anderen Ländern, die nicht mit Washington verbündet sind, fortzusetzen. Wer glaubt, sein Wahlsieg könne den Lauf der Dinge umkehren, täuscht sich.

Eine alte These von Marx besagt, dass der kapitalistische Wandel die Menschheitsgeschichte ständig mit einer Gewalt umwälzt, die niemanden verschont, manchmal nicht einmal die Kapitalisten selbst.

Die von den G7 sanktionierte Schändung „heiliger Eigentumsrechte“ ist nur ein Beweis unter vielen. Es ist die Ankündigung einer neuen Ära der ursprünglichen Akkumulation, in der die Süße des Freihandels der Wildheit gegenseitiger Usurpationen Platz macht.

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